Der einmalige Silberschatz der Schwarzenhäupter ist im Laufe von mehreren Jahrhunderten entstanden und stellt einen unzertrennlichen Bestandteil der Geschichte und Traditionen der Bruderschaft dar. Aus den schriftlichen Quellen ist bekannt, daß die Bruderschaft schon im Mittelalter über mehrere sakrale und profane Silbergegenstände verfügte. Aus dieser Periode ist bis zum heutigen Tag nur eine Statuette als Einzelstück erhalten geblieben: ein Papagei im gotischen Stil aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Es handelt sich um eine Art Wanderpreis, der jeweils dem Sieger des im Mittelalter populären Wettkampfs im Armbrustschießen, dem Papageienschießen, ausgehändigt wurde. Anhand der schriftlichen Quellen weiß man, daß sich ähnliche Silberpapageien auch im Besitz der Revaler Großen Gilde und der Revaler St. Kanutigilde befanden.
Das Schicksal des Silberschatzes der Schwarzenhäupter wurde sowohl von der Reformation, dem Livländischen Krieg (1558-1583) als auch dem Nordischen Krieg (1700-1721) beeinflußt. In der Kriegszeit sollten die Gilden und die Brüder auf Geheiß des Magistrats einen Teil ihres Silbers abgeben, das dann eingeschmolzen und zu Münzen geprägt wurde. Zum Beispiel haben Schwarzenhäupter im Jahre 1710 dem Magistrat 4 Deckelkannen, 3 Pokale und 8 Becher abgetreten. Jedoch gelang es diesmal, die wertvollsten Gegenstände-Pokale und Kannen-vor dem Einschmelzen zu bewahren. Vom Umfang und der Zusammensetzung des Silberschatzes der Schwarzenhäupter geben die in der Bruderschaft seit dem 16. Jahrhundert geführten Inventarverzeichnisse einen Eindruck. Eines der gründlichsten Inventare wurde im Jahre 1786 verfasst, als alle Silbergegenstände abgewogen wurden und ihr Gewicht nicht nur im Verzeichnis fixiert, sondern auch in den Boden der Gegenstände punziert wurde.
Den größten Teil des Silberschatzes der Schwarzenhäupter bilden die Geschenke. Die Brüder selbst pflegten der Bruderschaft einige Silbergegenstände zu spenden, gewöhnlich einen Becher. Oft war der Anlaß hierzu die Aufnahme in die Bruderschaft. Die auffallendsten Gegenstände – große Pokale – wurden der Bruderschaft von den im Schwarzenhäupterhaus zu Besuch gewesenen hochrangigen Gästen geschenkt. Schon im Mittelalter war es ein Brauch, daß das berittene Korps der Schwarzenhäupter hohen Gästen, wie den Ordensmeistern, beim Empfang das Ehrengeleit gab.
Diese Tradition wird auch während der schwedischen und russischen Herrschaft beim Besuch hoher Würdenträger fortgesetzt. Die Rolle der Schwarzenhäupter beschränkte sich oft nur auf das Geleit: die hohen Gäste wurden auch zu einem Festmahl in das Schwarzenhäupterhaus eingeladen, dort als Ehrenbrüder aufgenommen und ihre Namen wurden in das Ehrenbuch der Bruderschaft eingetragen. Als Dank haben die Gäste der Bruderschaft entweder Silber geschenkt oder eine Geldspende zum Erwerb eines Silbergegenstandes gemacht. So gelangten zum Beispiel um die Mitte des 17. Jahrhunderts als Geschenke des Grafen Andreas Torstensohn und des Gouverneurs Bengt Horn zwei Pokale mit halbrunden geschweiften Buckeln in die Silbersammlung, die ihrer Gestalt wegen auch ananasförmige Pokale genannt werden. Die Pokale sind dementsprechend von einem Hamburger und einem Nürnberger Goldschmied angefertigt worden. Im Jahre 1670 wurde der schwedische Feldmarschall Carl Gustaf von Wrangel von den Schwarzenhäupter eskortiert und gastfreundlich bewirtet. Zur Erinnerung an seinen Besuch bestellte Wrangel beim Narvaer Goldschmied Ludolf Zander einen imposanten Pokal, der als Anspielung auf seine militärische Laufbahn mit Schlachtenszenen verziert war, und schenkte ihn der Bruderschaft.
Mehrere Pokale aus der Sammlung der Schwarzenhäupter sind mit Besuchen russischer Kaiser in Reval und ihrer Bewirtung im Hause der Schwarzenhäupter verbunden. Die berühmtesten waren sicherlich die Besuche Peters I. zu Weihnachten 1711 und Mai 1721, die zu silbernen Rehfußpokalen Anlaß gegeben haben. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert hatte die Bruderschaft der Schwarzenhäupter für den eigenen Gebrauch eigenartige Rehfußpokale. Drei dieser Pokale, mit echtem Rehfell und Rehfuß verziert, werden heute im Talliner Stadtmuseum aufbewahrt. Zwei von ihnen stammen aus dem 16. und einer aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Zu Weihnachten 1711 hat Peter I. aus diesem merkwürdigen Trinkgefäß Bier getrunken. Er fand an diesem Trinkritual der Schwarzenhäupter Gefallen, so daß er auch weiterhin die alten Traditionen zu bewahren befahl. Während seines zweiten Besuchs, im Jahre 1721, stiftete er der Bruderschaft einen silbernen Rehfußpokal, den er für 30 Dublonen bestellt hatte. Der Pokal ist in der Arbeit des Revaler Meisters Peter Wilhelm Polack. Den zeitlichen nächsten Rehfußpokal bestellte die Bruderschaft als Erinnerung an den Besuch von Alexander I. im Jahre 1804 von dem Geld, das der Kaiser hinterlassen hatte. Insgesamt umfasst der Silberschatz der Schwarzenhäupter fünf Rehfußpokale. Es handelt sich um eine nur für die Reval typische einzigartige Pokalform, die sonst nirgends in Europa bekannt ist.
Wie man zu dieser Tradition mit den hölzernen Rehfußpokalen gekommen ist, weiß man nicht mehr genau. Eine mögliche Erklärung ist die Anknüpfung an eine deutschbaltische Legende über die Entstehung des Stadtnamens von Reval. Nach dieser Legende seien bei einer Jagd des dänischen Königs Waldemar II. die flüchtende Rehe vom steilen Kalksteinabhang des heutigen Dombergs heruntergefallen: Reh-Fall klingt ähnlich wie Reval. Diese Legende wird von vielen Chronikern aus dem Ende des 16. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts erzählt: Moritz Brandis (1600), Thomas Hiärn (1670er) und Christian Kelch (1695).
Einer der prächtigsten Pokale in der Silbersammlung der Schwarzenhäupter ist das Geschenk von Nikolai I., der am 23 Dezember 1827 im Schwarzenhäupterhaus zu Gast weilte und als Ehrenmitglied aufgenommen wurde. Der vergoldete Pokal ist eine Nürnberger Arbeit vom Ende des 16. Jahrhunderts und stammt aus der Sammlung der Moskauer Rüstkammer.
Am 21. Dezember 1700 wurden zehn englische Kaufleute in die Bruderschaft aufgenommen, die zur Erinnerung einen wunderschönen Silberpokal schenkten. In das Bruderbuch Schwarzenhäupter haben sie sich wie folgt eingetragen: “Wee, the Persons whose Names are severally here underwritten, having had the Honour to be made Brothers of the Schwartzen Häupter-House of this Citty, have in Consideration thereof presented the said House with a peece of Plate of 112 Loth. Wm. Beaumont, Robert Maister, Rob Mallaharr, Richard Cook, Benj. Benson, Richard Sykes, John Cary, Gabriell Dowker, Thomas Dunn.” (Wir, die Unterzeichner, haben die Ehre gehabt, Brüder des Schwarzenhäupterhauses dieser Stadt zu werden; aus diesem Anlaß haben wir dem erwähnten Hause einen Silberpokal von 112 Lot geschenkt. /Es folgen die Namen/.)
Die Namen und Wappen der Stifter sind in der Kuppa des Pokals eingraviert. Außer den Erwähnten steht auf dem Pokal noch der Name eines elften Kaufmanns-Thomas Remingt. Die Aufnahme englischer Kaufleute läßt sich aus den neuen Entwicklungen im russisch-englischen Handel des ausgehenden 17. Jahrhunderts, der durchs Baltikum führte, erklären. In der Sammlung der Schwarzenhäupter kann man noch weiteres Silber finden, das von englischen Kaufleuten geschenkt worden ist: ein Becher von Lewis Lyell und ein Becher von George Peirson. Beide stammen aus dem 17. Jahrhundert.
Sowohl der Pokal der Engländer als auch andere Silberarbeiten tragen als Besitzerzeichen das Wappen der Bruderschaft mit dem Mauritiuskopf im Profil. Die Tradition, Silbergegenstände mit dem Wappen der Bruderschaft zu verziehren, stammt aus dem Mittelalter. Auf den neueren Gegenständen findet sich außer dem Wappen oft auch der Leitsatz der Schwarzenhäupter „Aut vincendum , aut moriendum“ (Sieg oder Tod).
Außer den Pokalen und Bechern gibt es unter dem Silberschatz der Schwarzenhäupter auch mehrere Deckelkannen oder Deckelhumpen im Barockstil. Die meisten von ihnen sind zylinderförmig, mit reichlich verzierten Deckeln, und stehen auf drei kugelförmigen Füßen. Solche Deckelkannen wurden beim rituellen Umtrunk gebraucht, wenn man direkt aus der Kanne trank und sie von Hand zu Hand weiterreichte. Aus den Deckelkannen wurde sowohl Bier als auch Wein getrunken. Das hierzulande übliche Getränk bei Festen war jedoch Bier. Manchmal wurden diese Kannen sogar Porterkannen genannt, was uns an ein starkes dunkles Bier erinnert. Nur eine einzige Deckelkanne der Schwarzenhäupter hat eine unterschiedliche Form, nämlich die eines melonenförmigen Humpens. Sie ist eine Arbeit von Stanislaus Schultze. Obwohl sie unter den in Tallinn erhalten gebliebenen Kannen einzigartig ist, gibt es Angaben über mindestens noch zwei weitere melonenförmige Kannen aus dieser Stadt.
Die Silbersammlung der Schwarzenhäupter wurde nicht nur durch Geschenke bereichert, sondern auch die Brüder selbst befaßten sich eifrig mit dem Sammeln von Kunst. So zum Beispiel kauften sie im Jahre 1847 aus der Konkursmasse des Grafen Manteuffel drei zylinderförmige Deckelhumpen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sowie die Konfektdose eines Augsburger Meisters.
Unter den Silbergegenständen aus dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gibt es mehrere speziell angefertigte Pokale, wie den Wanderpokal des Kegelklubs der Schwarzenhäupter, Jubiläumspokale der Feuerwehr der Schwarzenhäupter, den Pokal zum 400. Jahrestag des Schwarzenhäupterhauses usw. Viele Arbeiten wurden aus der Werkstatt des Goldschmiedes Joseph Kopf bestellt, der mit der Bruderschaft im Laufe der Jahrzehnte einen engen Verkehr pflegte und sein Ladengeschäft gegenüber dem Schwarzenhäupterhaus hatte (Langstraße/Pikk t. 27). Oft verfertigte Kopf die Gegenstände nicht selbst, sondern kaufte Fertigwaren aus den größeren Kunstzentren Rußlands, vor allem aus St. Petersburg, und fügte nur die Symbolik der Bruderschaft sowie eine passende Inschrift hinzu. Die Weiterbearbeitung von Fabrikerzeugnissen war damals ein recht verbreitetes Verfahren.
Mehrere Silbergegenstände bestellte die Bruderschaft, um sie ihren Erkorenen Ältesten und dem Zugführer der Feuerwehr zu schenken. Gleichzeitig entwickelte sich auch die Tradition, daß diese Gegenstände nach dem Tode der Empfänger wieder der Bruderschaft übereignet wurden.
Ein jeder Gegenstand im Silberschatz der Bruderschaft – geschenkte Pokale schwedischer Feldherren oder russischer Kaiser, die Stiftung eines Mitbruders oder das Geschenk an den Ältesten — stellt ein Stückchen der jahrhundertealten Geschichte und Traditionen der Bruderschaft dar. Zu dem Glanz des Edelmetalls kommt der Glanz der Geschichte hinzu. Das Silbergeschirr wurde während der Festmahle auf den Tisch gestellt, wo man es mit Stolz den Gästen präsentierte. Nachdem die Photographie erfunden worden war, hat man die Paradebilder der Bruderschaft eben mitsamt ihrem Silber aufgenommen.
Die zuletzt erworbenen Gegenstände in der Silbersammlung sind Becher, die 1938, 1939 und 1940 in der Werkstatt von Roman Tavast angefertigt und zum Lätarefest geschenkt wurden. Lätare feierte man jedes Jahr am dritten Sonntag vor Ostern. Am Freitag vor Lätare fand die traditionelle Versammlung der Schwarzenhäupter statt, auf die ein festliches Essen folgte.
Auf Befehl des Chefs für innere Sicherheit wurden die Bruderschaft der Schwarzenhäupter und der Schwarzenhäupterklub am 14. August 1940 aufgelöst und ihr bewegliches Vermögen, darunter 101 silberne Gegenstände dem Volkskomissariat für Bildungswesen der Estnischen SSR übergeben. Die Gesuche der Bruderschaft, ihre Vermögenswerte aus Estland ausführen zu dürfen, blieben ergebnislos. Im Jahre 1942 zeigte man im Rathaus eine Auswahl des Silberschatzes der Schwarzenhäupter unter dem Titel “Silberkammer”. Der Ausstellungskatalog erschien auf Estnisch und Deutsch. Im Herbst 1944 sollen deutsche Truppen den Silberschatz der Schwarzenhäupter aus Estland weggeführt haben. Am Ende des Krieges wurden vom Kunstkommando der Sowjetarmee in der Nähe von Dresden Kisten mit dem Namen “Reval” entdeckt, nach Moskau geschickt und dort dem Puschkin-Museum für Bildende Künste übergeben. Im Frühherbst 1945 benachrichtigte man Ella Vende, die Direktorin des Talliner Staatlichen Kunstmuseums (heute Estnisches Kunstmuseum), die daraufhin nach Moskau fuhr. Am 28. September 1945 unterzeichnete sie dort das Übergabeprotokoll. Aus Moskau kamen 104 Gegenstände zurück, darunter zwei hölzerne Trinkgefäße mit einem silbernen Rand. Das Kunstmuseum hat diese Gegenstände gemäß Akte Nr. 249 am 8. Oktober 1945 empfangen.
In der Silberkammer der Nikolaikirche ist der größte Teil der Schwarzenhäuptersammlung ausgestellt, nur kleinere Gegenstände wie Schnapsbecher und Löffel sind weggelassen.